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Ich bin ein Anargeek. Ein Anarchist und Geek, und mehr.
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Ich bin ein Geek, weil man mich zu denen zählen kann, die es mögen, diese seltsamen Geräte, die wir Computer nennen, zu nutzen, verstehen und verändern.
Ich bin auch ein Geek, weil ich neugierig bin, wie diese funktionieren. Ich frage mich, was man mit ihren Programmen machen kann. Und manchmal bin ich begeistert von den Funktionen und Anwendungen, die noch nicht entdeckt worden sind oder an die noch niemand gedacht hat.
Ich bin ein Geek, weil diese Maschinen ein Teil meines täglichen Lebens sind. Ich nutze sie als Uhr, Stereoanlage, Bibliothek, Schreibmaschine, Kaffeemaschine, als Telephon oder Notizblock. Aber hauptsächlich sind sie mein Spielplatz. Ein Helfer bei Kommunikation, Erforschung und Kreativität.
Ich bin ebenfalls ein Geek, weil ich digitale Kommunikation in mein Leben integriert habe. Fast jeden Tag, wenn nicht mehrere Male am Tag, lese ich meine eMail, verwalte Server im Internet, schaue nach dem Netzwerk, das ich nutze, informiere mich, lerne, tausche Wissen in Fora, Mailing-Listen und Newsgroups sowie unterschiedlichsten Webseiten aus; unterhalte mich und treffe Leute via IRC.
Schließlich bin ich ein Geek, weil ich diesen Terminus mag. Ursprünglich war es eine Beleidigung, aber später wurde es von denen, die es betrifft, für sich eingefordert, ins Gute gewandelt und hat die Wurzeln für eine Gemeinschaft gesetzt, genau wie es einige andere kulturelle Minderheiten taten.
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Ich bin ein Anarchist, weil ich eine Gesellschaft, die auf Dominanz Weniger über die Anderen basiert, zurückweise. Es ist meine Überzeugung, daß es möglich ist, sich mit Respekt vor jedem Einzelnen sowie durch Praktizieren von Gleichberechtigung, Solidarität und Eigenverantwortung selbst zu verwirklichen.
Auch bin ich ein Anarchist, weil mich die sozialen Strukturen, die Massenausnutzung, tägliches Leiden und Tod verursachen, in Rage versetzen. Ich möchte dazu beitragen, dieses System niederzuschlagen, indem ich mich in gesellschaftlichen Bewegungen und an Strömungen für den radikalen Wandel des Systems beteilige.
Ich bin ein Anarchist, weil ich mein tägliches Leben als eine Gelegenheit sehe, meine Prinzipien zu testen. Ich bin bereit, mit sozialen Normen zu brechen, zum Beispiel durch Verweigerung der Aufrufe zu Konsum und Wettbewerb; Entfremdung zurückzuweisen; durch Zersetzen von unterdrückerischem und dominantem Verhalten, durch Entwickeln von kollektiven und gleichberechtigenden Alternativen.
Ich bin auch ein Anarchist, weil ich "offiziellen" Informationen meist skeptisch gegenüberstehe; ich möchte Massenmedien und institutionalisierten Medien kritisch begegnen, weil diese unsere Sicht der Dinge durch Auslassungen, Lügen und Falschinformationen trüben. Selbstausgesprochene Objektivität zurückweisend suche ich nach anderen und neuen Wegen, mich selbst zu informieren und zu bilden, nach alternativen Mitteln, Nachrichten zu verfassen und zu verbreiten.
Schließlich bin ich ein Anarchist, weil ich gegen die Paranoia, die die Gesellschaft durch die Manipulation der Furcht der Leute in Beschlag nimmt, stehe. Ich bin entschieden gegen die Kriminalisierung, Sammlung personenbezogener Daten und Unterdrückungsprozesse, die durch die Obrigkeit gegen die Armen, das gemeine Volk und die Aktivisten geführt werden. Unnötig zu erwähnen, daß wir Widerstand leisten müssen.
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Ich bin ein Anargeek, weil ich bereit bin, Neugierde und Fachwissen mit ethischen Überlegungen und politischen Methoden zu vereinen. Während der Gedanke den Weg bereitet durch Deutung und Lenkung, erweitert die Anwendung den Gedanken und schafft neuen Ideën eine konkrete Ausdrucksmöglichkeit.
Weiterhin bin ich ein Anargeek, weil ich in einer Gesellschaft leben möchte, die auf Selbstbestimmung, freier Zusammenarbeit und gemeinschaftlicher Intelligenz basiert. Darum unterstütze ich die Open-Source-Bewegung, die durch die weltweite freiwillige Zusammenarbeit Tausender zustandekommt, jedem erlaubend, Computerprogramme nicht nur zu teilen und zu verstehen, sondern auch zu verändern und weiterzuverbreiten.
Ich bin ein Anargeek, weil ich mich weigere, von einem politischen oder auch einem Computersystem versklavt zu werden. Während Staaten die Bürger mit Gesetzen reglementieren, forciert proprietäre Software sogenannte Standards. Während Autoritäten Aufstände und Veränderung durch Unterdrückung zu verhindern suchen, sind die großen Konzerne dabei, Alternativen zu ihnen durch Patente zu töten. Ich möchte dazu in der Lage sein, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, genau so wie ich dazu fähig sein möchte, die Werkzeuge, die ich nutze, zu verstehen, modifizieren oder zu erzeugen.
Ich bin außerdem ein Anargeek, weil ich dem nie enden wollenden Konsumzwang, den der Kapitalismus, der immer und immer wieder Güter erzeugt, wegschmeißt und Ressourcen verschwendet, während er den Verstand der Leute manipuliert, erzwingt, widerstehen möchte. Ich verwende Hardware, die andere als veraltet ansehen, weiter, belebe sie mit unbenutzten Komponenten sowie befreie sie mit offener Software. Ich es, die Grenzen aus der Mode gekommener Maschinen zu erforschen; statt verbrauchend schöpferisch Kreativität im Umgang mit dem System, Vorstellungskraft und Experimentierfreude bei meinen elektronischen Basteleien anwenden.
Ich bin ein Anargeek, weil ich es notwendig finde, einige der Einstellungen, die die Gemeinschaften, denen ich angehöre, sich zu Eigen gemacht haben, aufzureißen. Ich wünsche, die radikale Linke und alternative Computerkulturen miteinander bekannt zu machen, mir scheint insbesondere wichtig, den Sexismus, der bei den Geeks und allgemein Technikern, Naturwissenschaftlern und Mathematikern verbreitet ist, anzufechten und einen kritischen Blick auf die extreme Spezialisierung und das Fachidiotentum im IT-Bereich zu werfen; genau so wichtig ist es aber auch, dem Bereich der Aktivisten die Augen für die Perspektiven der digitalen Welt zu öffnen, während sie dieser so oft verschlossen und zynisch gegenüberstehen.
Ich bin ebenfalls ein Anargeek, weil der Umgang mit Technik nun mal ein exzellentes Medium für das Verfassen und Verbreiten unabhängiger Information bereitstellt. Daher nehme ich an Netzwerken zur Verbreitung von kontradiktiver bzw. autonomer Information, wider den offiziellen Standpunkt, wie Indymedia teil -- einem selbständigen Medium, das über die ganze Welt verteilt offen für alle ist, das die Grenzen zwischen Handelnden, Zuschauenden und Journalisten aufbricht und Probleme zum Vorschein kommen läßt, die die Massenmedien vorsichtig ignorieren oder über die sie gar Disinformationen verbreiten.
Ich möchte nicht dumm und nichtswissend bleiben, ebensowenig möchte ich ein Besserwisser sein und auf meinem Standpunkt stehen bleiben ohne jemals hinzulernen zu wollen – auch darum bin ich ein Anargeek. Ich öffne mich neuem Wissen, lerne und lehre, teile und entdecke Fähigkeiten, von denen ich noch nie gehört habe, schaue über den Tellerrand hinaus. Ich weigere mich anzuerkennen, daß – in einer Art traditioneller Hierarchie – die Älteren oder Vorgesetzten immer und überall Recht haben, nur weil sie älter oder länger dabei sind.
Schließlich bin ich ein Anargeek, weil ich glaube, daß Computer nicht nur Instrumente der Datensammlung, Beherrschung und Entfremdung darstellen, sondern auch als Hilfsmittel zur Stärkung des Einzelnen, Selbstverwirklichung, Kommunikation und gesellschaftlichen Veränderung genutzt werden können. Ich teile mein Wissen lieber, als es eifersüchtig für mich zu behalten; daher beteilige ich mich an Arbeitskreisen und Nutzergruppen oder stelle kollektive, nichtkommerzielle Werkzeuge und Dienste -- autonome Server, freie Internetzugänge, Webseiten oder ohne Gegenleistung nutzbare Hardware -- zur Verfügung.
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Diese Grundsatzerklärung nimmt keineswegs in Anspruch, für Dich zu sprechen. Es ist Dir vollkommen freigestellt, es teilweise anzunehmen, völlig dahinterzustehen oder es total zurückzuweisen. Und weil es so viele Anargeeks wie Individuen gibt, ermuntere ich hiermit jeden, sein bzw. ihr eigenes Manifest zu schreiben und auszuführen, seine oder ihre Ideën auszuprobieren, das eigene Grafitti oder ASCII zu malen.
Wider den Personenkult, gegen blindes Folgen von Vorgesetzten und Passivität! Jeder kann sich selbst neu erfinden und verwirklichen.
Dezember 2002,
darkveggy.
Deutsche Übersetzung, März 2005,
von mirabile.